Warum rackern sich manche Menschen ihr Leben lang ab und sind stets unglücklich, während andere gerne darauf hinweisen, dass sie gar nicht wirklich arbeiten, da ihre Arbeit sie so glücklich macht? In diesem Artikel erkläre ich dir den entscheidenden Unterschied.
Zu frühe Entscheidungen
Selbst wenn unsere Eltern uns bei der Wahl des Berufsbilds viel Freiheit gelassen haben, stellt die Art und Weise, wie wir aufwachsen, bereits viele Weichen für unser späteres Arbeitsleben. Erste Entscheidungen wie Ausbildungsberuf und Studium müssen in der Regel sehr früh getroffen werden, lange bevor wir eine ausgereifte Persönlichkeit haben. Oftmals verfestigt sich diese Entscheidung dann über die Jahre durch eine Kombination aus Trägheit, Ego und “Sunk Cost Fallacy” (heißt: Ich gebe nicht auf, worin ich schon so viel investiert habe). Manche Lebensläufe sind auf diese Weise gänzlich vorgezeichnet. Man denke an den Sohn, der das Handwerk des Vaters lernt und sein Arbeitsleben bis zur Rente im selben Betrieb verbringt. Muss das schlecht sein? Es kommt darauf an. Nähern wir uns dem entscheidenden Unterschied.
Der Faktor Glück ist es nicht. Denn selbst im richtigen Berufszweig muss sich jeder Mensch weiterentwickeln. Das Leben ist ein Prozess und kein Zustand: Glücklich sein muss aufrechterhalten werden.
Der Hebel den Glückliche drücken
Lass uns an dieser Stelle eine sehr wichtige überschlägige Rechnung machen.
Wir verbringen 38h/Woche mit arbeiten. Das sind 32 % unserer wachen Zeit je Woche von 119h bei 7h Schlaf je Tag. Einen weiteren Teil verbringen wir mit dem Aufrechterhalten unseres Lebens wie essen, duschen, Papierkram oder mit Kindererziehung. Wie viel bleibt dann noch für dich übrig? Wie auch immer deine persönliche Rechnung aussieht: Wenn du etwa ein Drittel deiner Zeit mit Arbeiten verbringst, kannst du es dir auf Dauer nicht leisten, unglücklich im Job zu sein.
Unser Selbst, das wofür wir uns halten, bestimmt wie wir diese Welt wahrnehmen und welche Möglichkeiten wir darin haben. Dieses Selbst ist, besonders über lange Zeiträume, erheblich veränderbar.
Wie viel deiner Zeit verbringst du mit Arbeit an deinem Selbst, deiner Persönlichkeit?
Vergleiche diesen Zeitwert mit den riesigen Zeitkontingenten, die du Arbeit & Co aufbringst. Bei vielen Menschen ist er etwa null. Wenn das bei dir auch so ist, bedeutet das für dich:
Dein Berufsleben, im Grunde dein ganzes Leben, verläuft weitestgehend ohne deine Steuerung, ohne eine bewusste Strategie. Gesteuert wird es durch Umstände, Zufälle und andere Menschen. Wenn du deine Interessen nicht vertrittst, tut es keiner.
Rechnen wir weiter und vergleichen die Arbeitszeit von 38h/Woche mit 1,5h/Woche Persönlichkeitsarbeit: Das ist ein Verhältnis von über 20:1!
Das heißt, wenn du nur ein Zwanzigstel der Zeit, die du in deinen Job investierst, in die Arbeit an deiner Persönlichkeit investierst, hast du einen riesigen Hebel, ein Drittel deiner Zeit viel glücklicher zu gestalten! Ich habe das in Bild 1 folgendermaßen veranschaulicht.

Du kannst mit der Zeit erhebliche Veränderungen in deinem Berufsleben bewirken: andere Stelle, andere Firma, andere Firmenkultur, andere Kollegen, höheres Einkommen und vieles mehr.
Deine Motivation und Energie in einem zur dir passenden Berufsbild, das nicht mehr überwiegend auf alten Entscheidungen und Umständen begründet ist, sondern auf deiner bewussten Steuerung, sind von ganz anderer Qualität; deine Arbeitsleistungen, Ausstrahlung und Leistungsbereitschaft sind höher, während sich die Arbeit selbst leichter anfühlt als ein melancholisches durch den Tag quälen und auf die Uhr gucken.
Quäle dich – Persönlichkeitsarbeit lohnt sich vielfach
Persönlichkeitsarbeit kann, besonders wenn man es nicht gewohnt ist, sehr, sehr anstrengend sein. Manch einer arbeitet lieber unglücklich 70h/Woche und jagt einem beruflichen Ideal hinterher, das nicht seins ist, als einen Bruchteil davon in die Entwicklung seiner Persönlichkeit zu investieren und mit weniger Arbeit viel glücklicher zu sein.
Quäle dich notfalls also, und vor allem regelmäßig. Es lohnt sich, denn mit der Zeit gewöhnst du dich daran, mit dir selbst ehrlich zu sein und deine persönlichen Themen zu bearbeiten.
Dieser Hebel bezieht sich aber nicht nur auf die Arbeit, sondern auf alle Bereiche des Lebens: Gesundheit, Liebe, Freundschaft etc. und ist somit noch viel größer. Da der Job in der Regel die meiste Zeit in Anspruch nimmt, habe ich den Schwerpunkt dieses Artikels darauf gelegt.
Persönlichkeitsarbeit schafft persönliche Opportunitätskosten. Das heißt, wenn du durch Persönlichkeitsarbeit für dich entdeckst, was du liebst und dir hohe und erstrebenswerte Ziele gesetzt hast, wirst du mit der Zeit immer unzufriedener in einem schlechten Job, Beziehung etc., weil dir klar ist, wie viel besser deine Situation sein könnte.
Opportunitätskosten motivieren dich dazu, dich aus einem schlechten Status Quo heraus zu entwickeln. Wenn du diese Opportunitätskosten für dich nicht findest, bemerkst du gar nicht recht, wie unattraktiv dein Leben ist oder du bemerkst es so spät, dass du die verlorene Zeit bedauerst.
Ein Beispiel wozu ein schlechtes Verhältnis von Arbeit und Persönlichkeitsarbeit führen kann: Der junge, hochgebildete und motivierte “Young Professional”, der dem verlockenden Einfall “Ich mache richtig Karriere, dann kann ich mir leisten, was ich will und alle bewundern mich für meinen Status” unreflektiert nachgibt. Auch hier drohen unglücklich durchgearbeitete Jahrzehnte, weil das zugehörige Maß an Persönlichkeitsarbeit fehlt. Soll heißen: “Karriere zu machen” ist für sich weder gut noch schlecht. Ob du damit glücklich wirst, hängt davon ab, wie sehr die Entscheidung dazu auf ehrlicher Reflexion und das Dabeibleiben von Persönlichkeitsarbeit begleitet und ab und an hinterfragt wird. Dieses Reflektieren und regelmäßige Hinterfragen gilt nicht nur für das “Karriere machen”, sondern ganz allgemein – auch für den Sohn, der überlegt, die Stelle seines Vaters zu übernehmen.
Methoden der Persönlichkeitsentwicklung
Es gibt viele sehr Methoden und Werkzeuge, um an sich zu arbeiten und zu reflektieren. Hier als Denkanstoß eine kleine Auswahl an, die ich gerne benutze:
- Meine Großmutter hat mal gesagt: “Sich selbst lernt man erst spät im Leben kennen”. Mache dir klar welches deine wichtigsten Werte sind. Suche dir eine Liste raus, die gängige Werte darstellt und bestimmte deine wichtigsten fünf. Auch diese fünf bringe für dich in eine Reihenfolge nach Wichtigkeit.
- Führe dir deine Stärken und Schwächen vor Augen, auch hier reichen je fünf. Was läuft häufiger schief und auf welche Schwäche ist das zurückzuführen? Welches sind Tätigkeiten, die dir Spaß machen und in denen du beinahe mühelos gute Ergebnisse erzielst und oft gelobt wirst?
- Entwickle ein Visionboard für dich und leite daraus Ziele ab. Das kann aufwändig sein aber auch Riesenspaß machen. Was sind Träume, Visionen, Ziele, Wünsche – wie unterscheiden sie sich voneinander? Ein Visionboard ist Quelle für eine echte Strategie im Leben. Es ermöglicht dir bei wichtigen Entscheidungen, z.B. einem Jobwechsel einen wichtigen Abgleich – unterstützt es meine Visionen oder steht es im Weg? Und andersrum kannst du neue Vorhaben danach auswählen und so gestalten, dass sie deine Visionen unterstützen. Übrigens: Visionen zu haben, kann harte Arbeit sein. Die Augen schließen und warten welche Visionen nun wohl anklopfen, hat bei mir nie funktioniert oder war durch lange Vorarbeit bedingt. Vielmehr ist es ein langer Prozess, in dem man immer wieder rational und emotional versucht, ambitionierte zu sich passende Zukunftsvorstellungen zu entwickeln. Die emotionale Komponente ist dabei sehr wichtig. Mein erstes Visionboard las sich “Instagram-reif” und sah gut aus. Es hatte mich aber null gepackt. Ich hatte den Fehler gemacht, vor allem rational aufzuschreiben, was wohl sinnvoll und attraktiv wäre. So übt es aber keine Anziehungskraft aus. Ein gut gemachtes Visionboard muss wie eine in der Zukunft verankerte Seilwinde sein, die dich “packt” und mit einer starken Anziehungskraft in die richtige Richtung zieht.
- Meine Lieblingsmethode für einen täglichen Abgleich mit sich selbst sind Morgenseiten.
- Eine Alternative sind “Vision Spaziergänge“. Dabei geht man, ohne Ablenkung, das heißt Handy, nur mit Verpflegung, Stift und Papier ausgestattet für mindestens drei Stunden in einer ablenkungsarmen Umgebung wandern. Zum Beispiel im Wald. Du kannst auch, wenn es eines gibt, vorab ein wichtiges Thema, das vielleicht sogar eine Entscheidung verlangt, zum Bedenken mitnehmen. Das könnte zum Beispiel eine gehen-oder-bleiben Entscheidung des aktuellen Jobs sein. Wichtig ist, dass du zeitlich nicht begrenzt bist und solange wandern könntest wie du willst – es macht mental einen großen Unterschied, ob im Hintergrund eine Uhr tickt. Du wirst sehen, wie sich dein Geist innerhalb der ersten Stunde verändert: von Stress und Alltag, von Kleinklein auf mehr und mehr Ruhe und Fokus. Deine Gedanken wandern zunehmend zu den Themen, die für dich wirklich relevant sind. Hin und wieder kannst du dich auf eine Bank setzen und Wichtiges aufschreiben. Mir ist es bei solchen Spaziergängen des Öfteren gelungen, gut begründete, wichtige Entscheidungen zu treffen.
- Mindmaps erstellen: Mit Mindmaps bist du ähnlich flexibel wie beim Brainstormen, kannst aber deine Gedanken intuitiv und einfach strukturieren. Wichtig ist, dass du – wenn du es digital machst – ein intuitiv bedienbares Programm hast. Ich habe im Laufe der Zeit viele Programme wie iThoughts (wurde leider eingestellt), Apple freeform, Mindmap Notes (einfach und intuitiv) und Big Hairy Goal (bietet viele Funktionen über Mindmaps hinaus wie z.B. SWOT-Analysen und Prozessdarstellungen) ausprobiert und verwende nun in der Regel letzteres.
Fazit
Arbeit vs. Persönlichkeitsarbeit: Du wirst einen großen Teil deines Lebens mit Arbeit verbringen. Investiere regelmäßig in Persönlichkeitsarbeit und finde deine Opportunitätskosten, um den größten Hebel für dein Glücklichsein in Beruf und Leben zu nutzen!
Suche dir eine Methode aus
Wenn das Thema für dich noch neu ist, tue zwei Dinge: Erstens suche dir ein wöchentliches Zeitfenster aus, in dem du mit dir für dich arbeiten wirst. Zweitens suche dir eine der genannten Methoden, die dich anspricht, zum Start aus oder recherchiere selbst eine – so ist deine Motivation hoch, zu starten. Wenn du dich schon mit dem Thema befasst, starte mit einer der fortgeschrittenen Methoden; ich halte ein gutes Visionboard für essenziell oder versuche für drei Wochen, Morgenseiten zu schreiben und schau wie dies dein Leben beeinflusst.
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